Erfahrungen

Hier finden Sie Berichte und Informationen von unmittelbar Betroffenen. Menschen mit einer Demenzerkrankung, ihre Angehörigen, Freunde aber auch Fachleute berichten hier über Erfahrungen und Erlebnisse. 

Diese Beiträge - aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und individuellen Erfahrungen heraus - können anderen Menschen weiter helfen und Mut machen.

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"Be you!", sagte John McFall, der als erster Astronaut mit einem Bein ins All flog! Ein großer Schritt für die Menschheit... aber noch grösser finde ich den Schritt für ihn und sein Bein, auf dem aller Entdeckermut lastete und McFalls‘ beachtenswertes Selbst-Verständnis...

Ich bin nicht mutig - eher kämpferisch. Das heißt, ich schaue mich um in der Herausforderung und schau auf meine Werkzeuge und Waffen und Chancen... und wäge darin einen gangbaren Weg ab. Ich habe gut gelernt, mich - wie mein Vater zu sagen pflegte - 'zusammenzureissen'.  Zumindest kann ich das mir und dem Schicksal überzeugend vorspielen.

Als mir im Januar in der Havelhöhe Klinik der Arzt ruhig-freundlich-knapp die lateinischen Ergebnissicherungen meiner Lumbalpunktion mitteilte, ging es mit dem 'Zusammenreissen' erstaunlich selbstverständlich und einfach: "Wie Sie ja schon vermutet hatten, hat sich der Verdacht auf eine demenzielle Erkrankung bestätigt".
Ich hatte keine Fragen. Ich glaube, ich lächelte höflich, bedankte mich für seine 'Müh und Arbeit' und ging...
Ich war ein Lichtjahr entfernt von mir... "Ich wusste es", hatte ich auf dem Weg nach Hause gesagt. Mehr nicht. "Scheisse", hatte mein Mann ganz ruhig gesagt und war still...

Ich merkte in den Tagen danach, dass etwas Allumgreifendes und nicht mehr zu Beendendes in oder mit mir geschah: Die Zeit überholte mich plötzlich und lief ohne mich weiter!  Ich stand allein in einem leeren Raum. Zeitlos. Lost in space.
Etwas Unvorhergesehenes aber Vorausgesehenes und seltsamerweise nicht Sichtbares war ganz still abgelaufen - ich hatte es erahnt - gefühlt...
Alzheimer war etwas, was andere hatten. Was in einer Art mitleidig-ratloser 'Draufsicht' vorhanden war. Aber nicht in meinem eigenen 'Ich'... und nun doch eben d o r t??

Alzheimer war heimlich in mein Gehirn eingezogen und hatte mir keine Zeit für Aufstände gegen dieses Schicksal gelassen... kein Kündigungsschreiben war möglich gewesen... Ich hatte keine Chance, mit meinem zuverlässigen, treuen Arbeits-, Planungs-, Gespür-, Ideen-Kopf lachend diese Attacke mit einem nassen Schwamm von der Tafel zu wischen...

Wer bin ICH?

Ich bin die, die mit (zu) viel Gefühlen in der Gegend herumläuft, sagte meine Mutter immer und meinte das so, wie es sich in dem Menschenbild der 50er und 60er Jahren 'gehörte' - abwertend.
Ich bin die, die sich in ihrer Kunst und in ihrem Ideen-Gebirge verläuft, sagte mein Kunstprofessor und meinte es warnend, weil er die Tätigkeit des emotionalen Nachvollziehens nicht besonders schätzte. Ich bin die, die zu wenig Mama-Total-Aufopferung bringt und sich auch noch zu viel um andere kümmert, dachte sich sicherlich mein Sohn, der sich meiner Meinung nach zu wenig um sein emotionales Außen- und Innenleben kümmerte und seine eigenen Bedürfnisse eher zentralistisch als sozial demokratisch eingeordnet sah (80er Jahrgang)...
Ich bin die, die Alzheimer hat, sagte das Lumbalpunktions-Ergebnis. Ich las die befremdenden Daten auf dem Untersuchungsergebnis wieder und wieder und wieder.

Es war ein - selbst für mich selbst - heimlicher Entschluss:
Eine 'Pamela-mit-Alzheimer' kenne ich nicht! Die und der Alzheimer war bis vorhin nicht da und ich hatte mich darauf verlassen, dass das so bliebe. Ich wollte weg aus dem Arztzimmer - in die Normalität draußen...
Da wusste ich noch nicht, dass es meine 'Normalität' nicht mehr gab - nur die der anderen – und, dass es Normalität für mich nie wieder geben würde...
Auf der Fahrt heimwärts hörte ich mich sagen: "Können wir bitte von etwas anderem reden? Ich habe viel zu tun heute".
Ich wusste noch nicht, dass das der eigene Kopf eigenständig übernehmen wird:
Dieses unentwegte Denken und Fühlen und Fühlendenken... Und dass es keinen Respekt und keine Einsichtsfähigkeit meines DENKENDEN GEFÜHLS mehr geben würde...
Der nicht eingebettete Fluss sucht sich seine Tiefen...

Irgendwoher kam mir das alles leise bekannt vor...
Meine Oma hatte mir das einmal gesagt: Ach Kind, ich bin schon so alt - früher wollte ich sooo viel machen ...aber das hat aufgehört. Man braucht K r a f t zum Was-machen!
Oma hatte also Kraft gespart...deshalb war sie so lieb...daher wird man Oma.
Meine Oma war immer Oma - und nie jung. Und ich bin lächerliche 71 (doof, aber relativ gesehen noch 'im produktiven Normbereich - oder???)
Und außerdem ist das ein anderes 71 wie das 71 damals bei meiner Oma...also auf keinen Fall mehr ein Einfahrtstor für Demenz...
Oder fuhr ich einfach auf einem falschen Dampfer???? das Unglück dort draußen bei den anderen - und meine immerwährende selbstverständliche Gesundheit?
In jedem Fall wurde eins immer spürbarer: Pamela geht irgendwie nicht mit 'Herrn Alzheimer' zusammen...
Kurze Anmerkung: 'Herr Alzheimer' ist mir eine wichtige Respektsanrede geworden!
Ich wehre mich damit entschieden gegen seine Aufdringlichkeit und Übergriffigkeit und behalte ihn damit besser im Auge!

Dann stand ich in unserer wunderhübsch-fröhlich eingerichteten Wohnung mit meinem viel-geliebten Blau rundherum und schaute den Wolken und den Bäumen im Wind draußen zu (hilft bei Müdigkeit, Einsamkeit und Fatalitätsgedanken).
...und hatte plötzlich das Gefühl, abgesperrt von allem zu sein. Mitten in meiner Wohnung in einem leeren Raum.

Es ist inzwischen 4 Monate her.
Es geht mir gut. Ich weine nicht und habe viel zu tun und übernehme alle meine Aufgaben.
Ich bleibe in ordentlicher Pflichterfüllung und ich spiele Buchstabenrätsel.
Ich gehe viel an die frische Luft und laufe, wandere, memoriere, mache Rätselaufgaben.
Manchmal mache ich Kreistänze mit einer Freundin, die mir helfen will, weil ich ihr einmal in der Zeit ihrer schweren Depressionen geholfen hatte.
Ich gehe zur Ergo-Therapie (der beste Lachtag in der Woche. Die Lehrerin ist ein gigantisch lieber, kluger fröhlicher Fels-in-der-Brandung) und ich atme und bewege mich und atme mit Qi Gong-Übungen der Herz-und-Kopf-und Lungenweitung entgegen (enorm empfehlenswert!).
Ich bin in einer wohltuenden Selbsthilfe-Gemeinschaft der Berliner Alzheimer Gesellschaft einmal im Monat im Gespräch mit denen, die auch in leidvoller Wahrheit und bestmöglicher Kompensation und Stabilisierung leben müssen...
Ich bin brav. Ich bin unserer Gesellschaft dankbar. Ich habe zum ersten Mal Liebesgefühle für meine Krankenkasse...
und versuche (heimlich) viel einzuordnen unter dieser Präambel:

Ich möchte niemandem zur Last fallen.
Ich möchte, dass mir verziehen wird, wenn ich mich nicht ordentlich beziehen kann.
Ich möchte nicht für blöde... dumm... unangenehm... gelten.
Ich möchte immer denken und fühlen können, dürfen bitte (das geht jetzt an meinen Mann und den lieben Gott)!
Ich möchte, dass mich jemand lieb hat, der keinen Wert auf meine fehlenden Worte legt.
Ich wünsch mir eine Freundschaft zu einer Frau, die auch neu im Alzheimerland ist.
lch möchte das Gefühl, zu lieben und zu mögen und zu freuen und zu schmunzeln und ich-sein-zu-dürfen behalten können (dann würd ich auch nicht mehr im Netz suchen, wer mir vorzeitig ein überdosiertes Narkosemittel verabreichen könnte).

Das Leben ist dennoch und überhaupt und nie zu vergessen und mir bitte in Herz-und-Restverstand-hineinwachsend:
Ein unsäglich großes Privileg an irdischer Zeit mit Liebe und Mögen und Gernhaben mit  dem Versuch, vor dem ich jetzt stehe:
Ich zu sein. Was immer 'ICH' bin. Und sein werde...

Hilfe dabei wünsch ich mir. Eine Hand. Ein Streicheln. Ein gemeinsamer Blick in die Wolken. Und ein Ohr in der Musik.  Dann gehts mit dem "Be me" - "Be you" vielleicht vielleicht irgendwann zusammen ins Weltall............

"Ich habe ihn nach wie vor lieb. Aber das hat nichts mehr damit zu tun, dass er mein Partner ist."

Der Mann von Anne Bendlin ist an Demenz erkrankt und lebt mittlerweile in einer Pflegeeinrichtung in Berlin. Warum sie der Krankheit mit "radikaler Akzeptanz" begegnet ist und was sie sich von der Politik wünscht, erzählt sie im Interview.

Das ganze Interview finden Sie hier