Täglich hat sie ihren Mann im Pflegeheim besucht, eine gemeinsame Zeit verbringen, spazieren gehen, ein Eis essen, eine Umarmung, ein Kuss, ein paar wenige Worte von ihm. Täglich fiel es ihr schwer, wieder allein zu Haus zu sein. Wie jeden Tag half aber die Freude auf morgen, auf das Wiedersehen.

Das alles begann im März. Plötzlich und über Nacht waren Besuche verboten Wenn sie in der Einrichtung anrief, um sich nach ihrem Mann zu erkundigen, erhielt sie von den Pflegekräften immer dieselben Antworten – es gehe ihm gut, alles wie gehabt, alles normal. Dabei war nichts normal. „Wir waren wie abgeschnitten.“

Von einem Tag auf den anderen und über eine solch lange Zeit „keine Informationen zu haben, nicht zu wissen, wie es ihm geht, wie er aussieht, was er macht, ist quälend“.

Seit dem 29. Mai sind Besuche wieder möglich. Dafür muss sie vorher einen Termin vereinbaren, einmal in der Woche ist erlaubt. So ein Besuch läuft folgendermaßen ab: ihr Mann befindet sich in Begleitung einer Betreuungskraft im Haus hinter einem Fenster. Sie steht draußen im Garten und schaut durch die Fensterscheibe zu ihm, winkt und sagt seinen Namen - mit Mundschutz und Abstand. Aber er bleibt nicht, er geht wieder. Beim nächsten Besuch wird das Fenster angeklappt, so dass er sie hören und sie mit ihm sprechen kann. Aber sofort wird sie auf die Abstandsregelung hingewiesen, also wieder einen Schritt zurück – und er dreht sich weg und geht. Mittlerweile sind Besuche im Garten erlaubt, mit Maske, Kittel, Handschuhen und mit Abstand. Letztens hat er zu ihr gesagt „Du bist eingewickelt.“ Ja, das ist sie. Sie darf ihren Mann immer noch nicht berühren, nicht in den Arm nehmen. Kein Kuss, nicht zur Begrüßung, nicht zur Verabschiedung. Bei jedem Besuch ist eine Betreuungsperson dabei, auch im Kittel und mit Maske, aber ohne Handschuhe.

Eigens für die Besuche wurden ein Tischchen und zwei Stühle im Garten aufgestellt. Mittlerweile darf sie dreimal in der Woche in den Garten kommen um ihren Mann zu sehen. Weil er sich nicht setzt sondern immer rumläuft und immer gehen will, sind die Besuche sehr kurz. Oft vergehen keine zehn Minuten vom Einparken bis sie wieder den Motor anlässt und sich zurück auf den Weg machen muss.

„Das tut im Herzen so weh, wenn er mit der Betreuungskraft wieder weggeht. Für mich ist das seelisch grausam, dann geht er und ich gehe zurück zum Auto.“

 

*Dieser Text basiert auf den vertrauensvollen Schilderungen einer Angehörigen. Sie möchte anonym bleiben, der Name ist der Redaktion bekannt. Das Gespräch führte Kathrin Breternitz.

Dieser Text erschien im August 2020 in der Printausgabe unserer Vereinszeitschrift Mitteilungen.

"Willkommen im Aphasialand! Hier berichte ich über mein Leben mit meinem Mann, der an Demenz erkrankt ist. Im Arztbericht steht: Frontotemporale Lobärdegeneration, Variante Primär nicht flüssige Aphasie (PnfA). Nie gehört? Kein Wunder.... "

So beginnt die Vorstellung im Blog Aphasialand Leben mit Frontotemporaler Demenz – FTD

 

Wenn ich auf die Zeit der Pflege meines Lebensgefährten zurückblicke, frage ich mich: Wie hätte ich diese vier Jahre ohne die Unterstützung in der Selbsthilfegruppe überstehen können? Je schwieriger die Situation für mich wurde, desto dringender war ich auf den Austausch in der Gruppe angewiesen - obwohl ich mir dies zu Anfang nicht hatte vorstellen können!

Nachdem ich von der Angehörigengruppe erfahren hatte, brauchte ich noch ca. drei Monate, bis ich den Mut hatte, einen Gruppentermin wahrzunehmen. „Alle werden entsetzt sein, wie wenig ich bisher organisiert habe …“, solche und ähnliche Gedanken hielten mich zunächst davon ab, das Angebot der Alzheimer Gesellschaft Berlin anzunehmen.

Die Situation

Mein Lebensgefährte (damals 67), mit dem ich seit 16 Jahren zusammenlebte, hatte sich mehr und mehr verändert. Er war promovierter Diplompsychologe und hatte als Dozent gearbeitet. Dass sein Bedürfnis, auch im Freundeskreis zu dozieren und im Mittelpunkt zu stehen, immer größer wurde und seine Fähigkeit, sich auf andere einzustellen, nachließ, hatte ich auf seine schon immer etwas „schwierige Persönlichkeit“ zurückgeführt. Erst als er sich während einer Reise auf Raststätten und im Hotel kaum noch zurechtfand, wurde mir endgültig klar, dass er krank war. Mit ihm darüber zu sprechen, war aber nicht möglich. Er fand Gründe, warum er gerade etwas durcheinander war und wurde wütend, wenn ich die Möglichkeit eines Arztbesuchs erwähnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ich jemals eine Vorsorgevollmacht von ihm bekommen könnte, um später die Pflege zu organisieren.

Dies war also meine Situation, als ich zum ersten Mal zur Angehörigengruppe kam. Nach Monaten immer größerer Verzweiflung hatte ich dort das erste Mal das Gefühl, dass meine Lage nicht vollkommen ungewöhnlich und durch meine Schuld ungeklärt war (da ich die Krankheitszeichen nicht früh genug erkannt hatte). Mein Empfinden: Mir hörten Menschen zu, die vieles, was mich damals bedrückte, kannten. Sie nahmen meine Situationsbeschreibung wertfrei an und suchten mit mir nach Lösungen. Vor allem erfuhr ich, dass auch Angehörige anderer Gruppenmitglieder die Alzheimer-Erkrankung nicht annehmen konnten und auf Gesprächsversuche in dieser Richtung aggressiv reagierten. Die Möglichkeit, mit Menschen zu sprechen, die nicht mit Mitleid oder Befremden auf meine Situation reagierten, tat unendlich gut.

Die Organisation der Pflege

Es war wichtig, immer wieder über die die notwendigen Schritte zu sprechen. Gestärkt durch die Gruppe gelang es mir, meinem Partner mit großer Selbstverständlichkeit die Vorsorgevollmacht vorzulegen und ohne Begründung mit Nachdruck zu erklären: „Das ist wichtig, das müssen wir jetzt machen“. Er unterschrieb alles – ohne zu diskutieren. Ich glaube, die Gespräche in der Gruppe hatten meine Haltung und somit meine Stimmlage beeinflusst. Dies war nicht etwas, das ich ihm „abverlangte“, sondern etwas, das für ihn wichtig war.

Auch bei den weiteren Schritten (Diagnose, Erreichen der Pflegestufe, Organisation der Pflege in meiner Abwesenheit) war der Austausch mit erfahrenen Angehörigen enorm hilfreich. Durch das in der Gruppe und auch via Internet gewonnene Wissen über die zustehenden Leistungen und die notwendigen Schritte, um sie zu erreichen, konnte ich den Sachbearbeitern der Versicherung, den Gutachtern und Ärzten gestärkt und gelassen gegenübertreten.

Die emotionale Seite

Meist habe ich die Gespräche in der Gruppe als intensiv und berührend empfunden. Man kam ja nicht zum Kaffeekränzchen; jeder, der hier war, hatte den unaufhaltsam fortschreitenden Abbau der geistigen und körperlichen Fähigkeiten eines/einer Angehörigen, die Veränderung der Beziehung zu ihm/ihr und die organisatorischen Probleme zu bewältigen. Oft waren Gruppenmitglieder verzweifelt und brachen in Tränen aus. Ich habe es immer so empfunden, dass der aufmerksame, empathisch-zugewandte Stil der Moderation (in meiner Zeit durch zwei aufeinanderfolgende Moderatorinnen) sich auf die Gruppe übertragen hat. Man achtete darauf, dass jeder zu Wort kam. Bemerkte man, dass jemand in besonderen Nöten war, hielten sich andere freiwillig mit ihren Gesprächsbeiträgen zurück. Die Frage, ob nicht Kaffee mitgebracht werden könnte, wurde von der Leitung so beantwortet: „Nein, was wir hier machen, ist Arbeit“. Diese Ernsthaftigkeit hat gutgetan und ist m. E. auch notwendig. Während der Pflege oder bei deren Organisation spielen oft schmerzliche Familienstrukturen, alte Konflikte u. Ä. eine Rolle. Auch dies wurde wichtig genommen und konstruktiv besprochen. Ich glaube, jeder fühlte sich mit seinen Sorgen angenommen und wertgeschätzt.

Mein Lebensgefährte ist vor einem halben Jahr an einer Lungenentzündung gestorben. Das letzte dreiviertel Jahr hat er in einem sehr guten, auf Demenz spezialisierten Heim verbracht. Ich hatte es auf Empfehlung der Gruppenleitung ausgewählt, die von einer anderen Teilnehmerin Gutes über dieses Heim gehört hatte. Auch hierbei war also die Gruppenerfahrung ein großer Gewinn für mich.

Ich bin sehr, sehr dankbar für die Unterstützung, die ich durch die Angehörigengruppe in der schweren Zeit der Pflege erfahren habe.

G.B.

 

Dieser Text ist im Dezember 2018 in der Printausgabe unserer Vereinszeitschrift Mitteilungen erschienen.

In meinem Tagebuch lese ich, dass ich einmal, wenige Monate nach der Diagnose „FTD“ für Elisabeth, nachts nicht schlafen konnte; ich wusste nicht weiter und die Probleme schienen übermächtig. Elisabeth war auch aufgewacht, wir hielten uns im Arm und streichelten uns. Sie genoss es und sagte es mir auch. Ich fand aus der Panik heraus. Ins Tagebuch schrieb ich dann „glücklich in der Liebe“.

Damals hoffte ich, die Liebe könne trotz ihrer Demenz bleiben wie sie war. Es war aber das letzte Mal, dass Elisabeth sie genossen hat. Berührungen mag sie offenbar nicht mehr besonders, jedenfalls nicht lange und schon gar nicht intensiv. Was fühlt sie? Das weiß ich nicht. Sie äußert es ja nicht mehr. Ich kann es nur vermuten; die Psychiatrie kann hier offenbar nicht weiterhelfen. Leben die Gefühle weiter, auch wenn man sie nicht mehr äußern kann, oder sterben sie ab, weil sie keinen Ausdruck mehr finden? Brutal formuliert: Macht Demenz die Liebe kaputt?

Wahr ist, dass Elisabeths Demenz unser Zusammenleben in allen Bereichen dramatisch verändert. Die früher unabhängige und selbständige Geliebte ist jetzt ständig von meiner Hilfe abhängig; ständig muss ich dabei in ihre Intimsphäre eingreifen. Das Geben und Nehmen hat sich sehr verändert; ist das noch die Geliebte von einst?

Ich hoffe, die Liebe verändert sich mit und wird eher taktvolle Hilfe bei allem, was sie nicht mehr alleine kann. Ich fühle, dass wir uns nie so nahe waren (früher waren wir oft viel zu ungeduldig und rechthaberisch miteinander). Ich zweifle nicht an der Liebe und dass es einen Sinn hat, mich für sie anzustrengen. Ich bin oft von  mir selbst überrascht, wie weit  es mir gelingt, ihren monotonen Tageslauf mitzumachen; sie zu trösten, wenn sie inkontinent ist, statt überfordert herumzuzetern; mich weitgehend auf sie einzustellen, statt vorwurfsvoll davon zu träumen, was ich alles unternehmen könnte, wenn nicht . . .

In den Zeiten der Maxime „Nein heißt auch wirklich Nein“ frage ich mich, ob ich Elisabeth immer fair behandelt oder sie nicht manchmal zu sehr bedrängt habe. Ihre Signale sind ja viel schwächer als früher, es ist viel leichter, sie zu übersehen. Sie sucht bei mir eher Geborgenheit als Sexualität.

Wäre ich zwanzig Jahre jünger, würde mich das Fehlen von sexuellem Glück belasten. Aber wer mit Ende 70 nur der Romantik von früher nachtrauert, macht sich ein bisschen lächerlich.

Und es bleibt dabei: Es lebe die Liebe!

 

Dieser Text ist im August 2018 in der Printausgabe unserer Vereinszeitschrift Mitteilungen erschienen.

Nachdem Pablo sich im „Heim“ eingelebt hat, versuche ich wieder mit ihm kleine Besuche zu machen. Natürlich wird uns unterschiedlich begegnet. Wir machen überwiegend positive Erfahrungen, wenn die Menschen merken, dass ich „locker“ mit Pablo umgehe, dann werden sie auch „mutiger“. Deshalb kam mir die Idee zu diesem Artikel.

B. A.

Alzheimerkrank?

So könnten Pablo’s Gedanken sein.

Leider, meine Krankheit ist fortgeschritten, ich wirke abwesend, unkontrolliert und kann kaum noch sprechen. Ich fühle, dass manche Menschen ängstlich sind, wenn sie mich sehen, weil sie nicht wissen, wie sie mit mir umgehen sollen. Leider kann ich manchen Gedanken nicht zu Ende denken, mein Kopf hat viele Fähigkeiten verloren, sodass ich kaum noch spreche und wenn ich mich bemühe, es nur manchmal verstanden wird. So höre ich öfter: „Er hat ja doch nichts mehr davon.“

Wenn Ihr aber Mut habt, auf mich zugeht, mit mir sprecht, dann seht Ihr,  – nicht immer – aber manchmal, dass meine Augen strahlen, mein Gesicht entspannt sich und ich belohne Euch mit einem Lächeln und versuche Euch festzuhalten. Ich spüre Zuneigung und es streichelt meine Seele. Und mal ehrlich - ob gesund oder krank, brauchen wir das nicht alle - zu spüren, dass wir willkommen sind, dass uns Freundlichkeit entgegengebracht wird? Habt keine Angst vor mir, Euer Pablo

 

Dieser Text ist im Dezember 2007 in der Printausgabe unserer Vereinszeitschrift Mitteilungen erschienen.